James Krüss

James Krüss (geb. 31.O5.1926 – gest. 2.O8.1997, www.james-kruess.de)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

entnommen aus dem Zauberbuch „Hardys Zauber-Schule“ , Verlag Eppe 2OO9

Aus dem Leben eines Zauberers
Wer zaubern will, muss früh aufstehn.
Der Zauberer Hardy ist um fünf Uhr früh aus den Federn.
Sommers wie winters. Montags wie mittwochs. Mit oder ohne
Schnupfen.
Hat er gefrühstückt und sich frisch gemacht, verstaut er in sei-
nem Zauberauto seinen Zauberstab, sein Zauberkaninchen,
sein Zauberkostüm und alle Zaubergerätschaften. damit
braust er los, baut in der Schule, die an dieem Tag an der
Reihe ist, seine Zaubersiebensachen auf und beginnt, wenn
alle Kinder aufs Höchste gespannt auf ihren Plätzen sitzen, mit
der Zauberei.
Das hört sich leicht an, dass jemand mit der Zauberei beginnt.
Doch war ’s ein langer, langer Weg, bis er so zauberkundig
war, dass er einfach beginnen konnte.
Immerhin war Hardys erster Trick, dass er gleich doppelt auf
die Welt gekommen ist, nämlich als Zwillingsbubenpaar am
Flusse Paar in der Stadt Aichach.
Das war im Jahr 1949, zur Zeit des so genannten Kalten
Krieges, von dem die beiden Buben aber nicht viel merkten.
Sie wuchsen auf in der freundlichen Obhut einer fünfzehn
Jahre ällteren Schwester.
Und was der eine tat, das wollte auch der andere tun. Als
daher einer von ihnen zu s…s…stottern begann, da s…s…
stotterte der andere auch.
Aber wie es so oft geht in der Welt: Gerade dieses Stottern
wurde für beide Buben zum Motor ihrer Entwicklung. Da sie
mit der Sprache des Mundes Schwierigkeiten hatten, ließen sie
ihre Hände sprechen, Hardys Bruder vor allem auf den Tasten
einer Hammondorgel, Hardy selbst als fingerfertiger Zauberer.
Aber auch im Unterhaltungsgewerbe haben die Götter vor den
Erfolg den Schweiß gesetzt. Auf unzähligen Verlobungen,
Hochzeiten, Betriebs- und Weihnachtsfeiern traten die
Zwillingsbrüder jahrelang auf, Hardy zunächst als Schlag-
zeuger, der Bruder an der Orgel, bis endlich – simsalabim –
wie durch einen Zauberschlag klar wurde, dass es die
Zauberei war, die den Knaben Hardy anzog.

Fortan verschwanden die „Smutnys“, wie die Brüder sich nach
ihrem Familiennamen genannt hatten, in der Versenkung, und
heraus kam der Zauberlehrling Hardy, der zwar noch eine
Handelsschule besuchte und sich zum Verlagskaufmann aus-
bilden ließ, sich dabei aber doch immer schon in den
Zauberkünsten übte.
Das fing an, als die Familie nach Buchloe zeog; denn dort lebte
Herr Eisenschenk, ein Rentner, für den Hardy die Einkäufe
besorgte. Dieser Herr Eisenschenk hatte das Zaubern als
Soldat gelernt, beim Militär, und nun lehrte er es Hardy, mit
allen Tricks und Zaubergeräten, die er kannte oder bastelte.
Als Hardy dann zum ersten Mal vor einem größeren
Publikum öffentlich auftrat – in einem eigens für ihn geschnei-
derten Anzug und für sieben Mark Honorar -, da war er nicht
nur stolz, sondern da wusste er auch schon, wie er seine
Behinderung, das Stottern, überwinden konnte: durch
Zauberei.
Doch um auch richtig und von Grund auf das Zaubern zu
erlernen, begab er sich zur Stadt der Grachten und Kanäle,
zum Venedig des Nordens, nach Amsterdam; denn dort lehrte
der berühmte Meister Henk Vermeyden das Zaubern. Und der
lehrte nicht nur das Zaubern, sondern auch, wie man sich
dabei präsentiert. Hardy musste immer tipptopp bei ihm
erscheinen: Der Anzug musste tadellos geschneidert, die
Fliege tadellos gebunden, die Lackschuhe tadellos gewienert,
der Scheitel tadellos gezogen werden.

Hardy wurde einer der berühmten Schüler Henk Vermeydens.
Dabei hatte der kleine Hardy, als er noch Erhard Smutny hieß, eigent-
lich keinerlei Lust zum Zaubern gehabt. Als er zu Weihnachten statt
einer Eisenbahn einen Zauberkasten bekommen hatte, war der in der dunklen
Ecke eines Schrankes verschwunden. Als er
dann aber eines Tages -mehr aus Zufall – den Kasten wieder hervorholte, ein paar
Tricks einübte und diese Tricks erfolgreich vorführte, da stärkte das sein Selbst-
bewusstsein so sehr, dass er von nun an
allein auftreten konnte – sei es daheim, sei es auf dem Oktoberfest in München, sei es
im Haus des damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel.

Der damalige Bundespräsident war es auch, der Hardy das
größte Lob spendete, als er sagte: „Die Zauberei ist schön und
gut; das können andere auch;, aber dass jemand, der gewöhn-
lich stottert, beim Zaubern glatt und flüssig sprechen kann,
das grenzt wikrlich an Zauberei“.
Hardy hatte inzwischen nämlich herausbekommen, dass er bei
dem, was er den meisten Menchen voraushatte – beim
Zaubern -, ganz einfach nicht mehr stotterte. Besonders die
Verse, die er sich als Begleittext selbst zurechtgeschneidert
hatte, kamen ihm dabei flott über die Lippen.
Nun hatte Hardy sein Spezialtalent entdeckt: Als Stotterer, der
beim Zaubern nicht mehr stottert, Kindern, die Hemmungen
hatten, Mut zu machen.
Es war eine Ministerialdirigentin im bayerischen Kultus-
ministerium, Anna Maria Hagenbusch, die für Hardys Beruf
die Bezeichnung „Zauberpädagoge“ erfand, ein Wort, das
Hardy heute noch benutzt.
Die Krone aller Zauberei aber wurde Hardy aufs Hauptl
gedrückt, als er vom 1. bis zum 3. April des Jahres 1982 volle
66 Stunden lang, ohne Pause, in einer Wirtschaftsschule in
Augsburg zauberte und damit den Weltrekord im Dauer-
zaubern aufstelle, der ihm – mit Foto – einen Platz im
„Guinness-Buch der Rekorde“ einfachte.

Das Höchste, was man handwerklich erzaubern kann, war
damit erreicht. Nun konnte Hardy – Stottern hin, Stottern her –
sich ganz dem Zaubern für Kinder widmen.
Das tat er auch. Und tut`s noch heute.
Nur weiß er heute, dass die Zauberei mit einem geheimnisvoll
hingehauchten „Abrakadabra“ nicht „von selber geht“, wie er
als zehnjährier Bub geglaubt hatte, sondern dass man sich die
Zaubertricks hart erarbeiten muss, wenn sie leicht von der
Hand gehen sollen. Wenn das Sprichwort sagt:
„Geschwindigkeit ist keine Hexerei“, dann sagt der
Zauberkundige:“Mit der Geschwindigkeit beginnt ja erst die
hohe Kunst der Zauberei“.
Dabei muss ein Zauberer nicht einmal seinen Mund aufma
chen. Als Hardy in Altersheimen auftrat, in denen viele alte
Leute taub oder schwerhörig sind, führte er lauter Tricks ohne
Worte vor und tosender Beifall von runzligen Händen
belohnte ihn dafür.

Überhaupt hat es Hardy in seiner Laufbahn als Zauberer an
Beifall nie gefehlt, nicht auf dem Oktoberfest, wo er mit der
dicksten Dame der Welt zusammen in der ältesten deutschen
Schaubude „Auf geht„s zum Schichtl“ auftrat, nicht in den
Kindergärten, wohin vor allem die muntere Schwester
Karusella ihn brachte, nicht im hohen Kultusministerium, wo
eine Ministerialdirigentin Hardys Berufsbezeichnung erfand.
Wie man allein durch das Hochhalten von Mandarinen-
scheibchen ein Publikum verzaubern kann, hat Hardy so oft
vorgemacht, dass neidische Kollegen sagen: „Der verdient sein
Geld, indem er Mandarinenscheiben isst und davon lustig
wird“. Doch wie das vor sich geht, das lässt sich nicht
beschreiben. Man muss dabei gewesen sein.

Natürlich gab es bei der Zauberei manchmal auch Pannen
zum Beispiel in Rumänien zur Zeit der Diktatur, wo Hardy
vor deutschen Touristen auftrat. Dort brauchte er für sein
Programm unbedingt einen Hasen oder ein Karnickel, fand
aber keins von beiden, weil die Rumänen damals Hunger lit-
ten und alles aßen, was ihnen in Feld, Wald oder Wiese vor die
Flinte kam.
Schließlich, nach mühevollem Suchen, fand sich ein ausge
wachsener kräftiger Kaninchenbock, der etwas wild war, aber
seine Sache beim ersten und zweiten Auftritt gut machte. Beim
dritten Mal aber war vor der Vorstellung nirgends zu fin
den. Hardy war ratlos: Sein Zauberkaninchen war verschwunden.

Hätte er jetzt seinem Publikum erklärt, das Tier sei ver
schwunden, hätte das Publikum gelacht und gerufen: „Dann
zaubre es doch einfach wieder her“. Da das aber nicht möglich
war, musse Hardy bei jener Vorstellung auf den Aufritt mit
dem Kaninchen verzichten. Doch zerbrach er sich weiter den
Kopf darüber, wo das Tier geblieben sein könnte. Erst beim
Abendessen mit dem Hoteldirektor, der ihm ein für die
schlechten Zeiten erstaunlich leckeres Mahl vorsetzte, kam
heraus, wo der Kaninchenbock geblieben war: im Kochtopf.
Was Hardy so gut geschmeckt hatte, war sein eigenes
Zauberkaninchen gewesen.
Ein anderes Mal wollte der österreichische Zoll beim
Grenzübergang Füssen das Zauberkaninchen Micky nicht über
die Grenze lassen, weil ein Attest vom Tierarzt fehlte. So sagte
Hardy: „Gut, ich lass ihn hier“. Er steckte vor den Augen der
Zollbeamten das Karnickel in eine Zaubertruhe, schloss die
Truhe ab und ließ sie beim Zoll stehen. Dann fuhr der mit
seinem Zauberauto nach Österreich hinein.
Als Hardy aber von seiner Vorstellung zum Zoll zurückkam
und – vor den Augen eines herbeitelefonierten Reporters – die
Schatztruhe öffnete, war kein Kaninchen drin.
Wie das zuging? Das sei hier nicht verraten!
Von Hardy selbst aber verraten und erklärt werden in diesem
Buch
fünfzig und noch ein Trick.*

*aber Hardy darf nach den Regeln der Zauberer den „Fünzig und noch
ein Trick“ nicht erklären. Und da ich selber geschwebt bin, will ich das
Geheimnis auch nicht verraten.
Und wer von euch Geschick, Geduld und Lust und Laune hat
zum Zaubern, der übe und trainiere fleißig. Vielleicht – wer
weiß? – wird ja ein zweiter Hardy aus ihm. Auf alle Fälle wün-
sche ich den Benützern dieses Buches
Geschick und Glück
beim Zaubertrick!

James Krüss, Sommer 1992 Gran Canaria